Berlin. Der Schauspieler über die Serie „Disko 76“, die Liebe zum Tanz, sein Coming-Out – und die Vorbildfunktion, die er damit einnehmen will.

Jannik Schümann ist bekannt für Kinofilme wie „Die Mitte der Welt“ und „Jugend ohne Gott“, TV-Filme wie „Mein Sohn Helen“ oder Serien wie „Die Diplomatin“ und „Charité“. Erst kürzlich ist die dritte Staffel von „Sisi“ gestartet, in der er Kaiser Franz spielt. Nun ist er schon in der nächsten Serie zu sehen: Im Sechsteiler „Disko 76“, der ihn in die 70er-Jahre katapultiert. Eine Ära, die der 31-Jährige nur aus alten Filmen kennt – und zu der er doch einen starken Bezug hat. Darüber spricht er im Interview genauso wie über sein Coming-Out und sein Studium, das er neben seinem Schauspielberuf gerade abschließt.

Die Discowelle war in den 70er-Jahren. Sie sind Jahrgang 1992. Was bedeutet Ihnen diese Musik heute?

Jannik Schümann: Diese Zeit habe ich nicht mitbekommen. Aber ich bin mit dem Tanzfilm großgeworden und das ist für mich die Verbindung. Der Tanzfilm ist einer meiner Lieblingsgenres. Mein absoluter Lieblingsfilm ist „Billy Elliott“. Billy habe ich mir mittlerweile auf den Oberschenkel tätowiert. Weil ich so viel mit ihm gemeinsam habe. Ich bin auch ein Junge vom Land, komme auch aus einer Arbeiterfamilie, meine Brüder haben Fußball gespielt, während ich immer tanzen wollte.

Ich wurde allerdings, anders als Billy, immer von meiner Familie unterstützt. Der Film ist natürlich von 2000. Also nicht disco-mäßig. Aber ich bin auch mit John Travolta aufgewachsen, mit „Grease“ und „Saturday Night Fever“. Daher hatte ich immer einen Bezug zu dieser Zeit.

Sie sind ja schon als Kind durch Ihre Liebe zum Tanz zum Musical gekommen. Konnten Sie sich hier mal richtig austoben?

Schümann: Absolut. Das fing beim Casting an. Das war noch zu Corona-Zeiten. Wir konnten nicht vorsprechen und sollten ein Tanzvideo drehen. Da habe ich mir von meiner besten Freundin eine Samtschlaghose und ihr Glitzerhemd ausgeliehen und sie hat mich in meiner Ein-Zimmer-Wohnung gefilmt. Sie musste sich dabei allerdings ein Handtuch über den Kopf ziehen, weil sie sonst gelacht hätte. Aber durch das Video habe ich die Rolle bekommen. Da fing der Spaß schon an.

Schön retro mit dem Sound jener Jahre: Die Ufa-Serie „Disko 76“ mit Luise Aschenbrenner und Jannik Schümann.
Schön retro mit dem Sound jener Jahre: Die Ufa-Serie „Disko 76“ mit Luise Aschenbrenner und Jannik Schümann. © Ufa Fiction | RTL+

Und wie war es, sich selbst das erste Mal in dem 70er-Jahre-Outfit zu sehen, und mit dieser Frisur?

Schümann: Die Koteletten waren leider echt, die musste ich monatelang tragen. Das war gewöhnungsbedürftig. Aber die Kostüme waren toll. Ich habe Fotos von mir an meine Mama geschickt. Und weil sie die erst ohne Brille gesehen hat, dachte sie, dass sei mein Papa in den 70ern. Wenn ich jetzt meinen Robert in „Disko 76“ mit meinem Vater vergleiche, finde ich auch: Die ähneln sich extrem.

Wenn Sie so eine Liebe zum Tanz haben, warum hat man Sie dann nicht längst mal tanzen sehen?

Schümann: Weil es einfach kaum Tanzfilme gibt im deutschen Film. Außer „Fly“ mit den Flying Steps fällt mir da keiner ein. Und in Entertainmentshows wie „Let’s Dance“ sehe ich mich nicht.

Ihr Robert kommt aus der DDR und hat ein Geheimnis, das nicht gleich erklärt wird. War das auch ein Reiz, eine Figur zu spielen, von der nicht gleich klar ist, wie sie einzuordnen ist?

Schümann: Ganz klar. An Stereotypen, bei denen man von Anfang weiß, wofür sie stehen, bin ich nicht interessiert. Robert ist die ersten zwei, drei Folgen über nur ein Macho-Tänzer, bei dem man sich fragt, kommt da noch was. Aber dann knackt die Schale. Charaktere zu spielen, die vielschichtig sind und eine Vergangenheit haben, das ist ein Geschenk. Das ist der Reiz am Beruf. Und ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in den letzten Jahren so unterschiedliche Rollen spielen konnte.

„Der Tanzfilm ist einer meiner Lieblingsgenres“, sagt Jannik Schümann. Deshalb wollte er unbedingt mal vor der Kamera tanzen.
„Der Tanzfilm ist einer meiner Lieblingsgenres“, sagt Jannik Schümann. Deshalb wollte er unbedingt mal vor der Kamera tanzen. © Ufa Fiction | RTL+

Steckt was von diesem Robert auch in Ihnen?

Schümann: Ja. Seine Hauptmotivation ist die Suche nach Liebe. Das kann ich total verstehen. Weil ich ein sehr emotionaler Mensch bin, der ganz viel Liebe braucht. Von der Familie, von den Freunden, von meinem Partner. In Robert steckt sicher mehr von mir als in Franz.

Den Kaiser Franz spielten sie bereits zum dritten Mal in der neuen „Sisi“-Staffel, die im Dezember lief. Sisi ist in Deutschland durch die Filme mit Romy Schneider fast eine Art Nationalheiligtum. Sie haben da ganz schön am Heiligtum gekratzt…

Schümann: Aber nicht nur wir, sondern drei andere Produktionen auch: „Corsage“, „Die Kaiserin“ und „Sisi & ich“. Ich habe die alle gesehen, und ich finde, sie haben alle eine Daseinsberechtigung. Man hat ja nur ein paar Eckpunkte, weiß aber eigentlich nichts von Sisi. Das regt die Fantasie an. Und ich finde toll, dass sie so unterschiedlich interpretiert wird. Das Besondere an der Serie ist, dass ich noch nie so lange einen Charakter gespielt habe. Und der dann zu deinem eigenen wird. Das merkst du, wenn du ein Jahr später wieder das Kostüm anziehst: Du bist sofort wieder in der Rolle drin.

Jannik Schümann mit Dominique Devenport in der dritten Staffel von „Sisi“.
Jannik Schümann mit Dominique Devenport in der dritten Staffel von „Sisi“. © DPA Images | Armands Virbulis

Wenn man Porträts über Sie liest, wird immer Ihre Attraktivität hervorgehoben. Ist die eigentlich manchmal auch ein Makel, müssen Sie da gegen ein gewisses Image ankämpfen?

Schümann: In Deutschland leider ja. Das macht mich total wütend und traurig zugleich. Schauspieler*innen wie Sidney Sweeney oder Jacob Elordi aus „Euphoria“ hätten es in Deutschland echt schwer, weil ihnen ihr Aussehen im Wege stehen würde. Ich weiß nicht, warum Deutsche solche Angst vor Schönheit haben. Ich sehe mich auch gar nicht so. Aber so um 2018 bekam ich wirklich viele Absagen mit der Begründung, ich sei zu schön für die Rolle. Das ist nicht fair, daran kann man ja nichts ändern. Es ist auch nicht so, dass man keine Probleme im Leben hat, nur weil man gut aussieht.

Haben Sie auch deshalb beschlossen, nebenbei zu studieren?

Schümann: Ganz genau. Ich wollte nicht warten, bis jemand sich traut, mich zu besetzen. Ich dachte immer, wenn ich kein Schauspieler werde, werde ich Grundschullehrer. Das war mein Traumberuf. Dennoch studiere ich jetzt nicht auf Lehramt. Nebenher Anglistik und Medienwissenschaft zu studieren, war schwer genug. Ein Referendariat hätte ich nicht auch noch unterbekommen. Ich habe einfach studiert, um mich weiterzubilden. Um was zu machen. Und nicht passiv zuhause zu sitzen und auf einen Anruf zu warten.

Jannik Schümann mit seinen Ko-Stars Natalia Wörner (l.) und Luise Aschenbrenner bei der Premiere der Serie „Disko 76“ auf der Berlinale 2024.
Jannik Schümann mit seinen Ko-Stars Natalia Wörner (l.) und Luise Aschenbrenner bei der Premiere der Serie „Disko 76“ auf der Berlinale 2024. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Nicole Kubelka/Geisler-Fotopress

Sie schreiben gerade Ihre Bachelorarbeit über „Queer Coding bei Disney-Bösewichten“.

Schümann: Die muss ich Ende April abgeben. Der Großteil ist aber schon fertig. In Disney-Animationsfilmen gibt es keine offen queere Figuren, aber umso interessanter ist es, wie Figuren queer gecodet werden und was das im kulturellen Kontext bedeutet. Ich analysiere das anhand von Ursula aus „Arielle, die Meerjungfrau“ und Jafar aus „Aladdin“.

Sie haben Ihr Schwulsein vor drei Jahren einfach damit publik gemacht, dass Sie ein Foto von sich und Ihrem Partner veröffentlicht haben. Sie wollten extra keine großen Interviews geben?

Schümann: Genau. In meiner Wunschvorstellung wäre es nicht nötig, sich outen zu müssen. Das sollte längst normal sein. Die Realität sieht aber leider anders aus. Ich habe gerade im Covid-Jahr viel darüber nachgedacht, was ich erreichen und beitragen könnte, wenn ich diesen Schritt gehe. Das konnte ich natürlich nicht allein, das musste auch Felix mitentscheiden, der ja vorher nicht in der Öffentlichkeit stand. Er unterstützt mich mehr, als ich es mir hätte wünschen können. Wir waren uns aber einig, das sollte so selbstverständlich wie möglich geschehen. Das war uns ganz wichtig.

Jannik Schümann im Gespräch mit Morgenpost-Redakteur Peter Zander.
Jannik Schümann im Gespräch mit Morgenpost-Redakteur Peter Zander. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und wie hat sich das Coming Out ausgewirkt? Es gibt ja immer noch Agenten, die behaupten, dass würde der Karriere schaden…

Schümann: Ich habe nur positive Reaktionen bekommen. Aus meinem Umfeld sowieso. Auch meine Agentur hat mich dabei komplett unterstützt. Ich weiß aber, dass es andere Agenturen gibt, die ihre Klienten warnen, diesen Schritt lieber nicht zu tun. Das ist unfassbar. Du steigst ja meist als junger Mensch in diesen Beruf ein, Agent*innen nehmen dabei die Positionen von Mentor*innen ein, denen man vertraut. Und wenn die dir abraten, wie sollst du da den Mut aufbringen, den Schritt doch zu gehen?

Sehen Sie sich da auch in einer Vorbildfunktion? Wollen Sie ein Sprachrohr sein?

Schümann: Ich war mir gar nicht bewusst, wieviel Wirbel das auslösen würde. Aber ich habe damals gesagt, wenn mir eine Person schreibt, dass ich ihr Mut gemacht, dass ich ihr geholfen habe – dann habe ich es richtig gemacht. Und ich habe unzählige Reaktionen bekommen, von Menschen, die sich unmittelbar danach geoutet haben. Ich habe tagelang nur geweint, weil sich so viele Menschen bedankt haben. Dadurch wurde mir erst bewusst, welche Kraft ich habe und was ich bewirken kann.

Dadurch hat sich auch die Haltung denen gegenüber verändert, die diesen Schritt nicht gehen. Denn es liegt in unserer Verantwortung, etwas zu ändern. „Act Out“ war dafür eine gute Aktion. Zu zeigen, dass wir nicht alleine sind. Damit es für die Generation nach uns vielleicht nicht mehr nötig ist.

Sie sind damit sogar in den Bundestag gekommen.

Schümann: Und das war der krasseste Moment, den ich je erlebt habe. Im Bundestag zu sprechen, das ist wohl die größte Ehre, die man bekommen kann. Das Video davon kann ich auch jetzt noch nicht anschauen, ohne emotional zu werden. Ich muss es allerdings immer wieder anschauen, weil das ein absoluter Blackout war und ich mir versichern muss, dass das wirklich passiert ist. Neulich war ich wieder mal total nervös. Aber meine Agentin meinte: „Jannik, du hast im Bundestag eine Rede gehalten. Es gibt nichts mehr, wovor du aufgeregt sein musst.“

„Disko 76““ ist seit 28. März auf RTL+ zu sehen. Am 1. April läuft diee Serie bei RTL Nitro.